An(ge)dacht April/Mai

Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich.

1. Korinther 6,12

Ein sehr neutestamentlicher, vielleicht sogar „reformatorischer“ Vers. Hier treibt Paulus die Befreiung von der Gesetzlichkeit, die er immer wieder predigt, gewissermaßen auf die Spitze: Ein Freibrief? Nein: Freiheit mit Ein-schränkungen. Es ist hilfreich, diesen Vers in seinem Zusammenhang zu lesen.

Auf unseren Vers folgt eine kurze Absage an die jüdischen Speisegesetze, auf deren Einhaltung besonders einige Judenchristen pochten: „Die Speise dem Bauch und der Bauch der Speise; aber Gott wird das eine wie das andere zunichtemachen.“ (V. 13). So weit, so gut: Wir genießen heute unser Essen ohne Einschränkungen (zumindest kultischer Art).

Aber weiter im Text: „Der Leib aber nicht der Hurerei, sondern dem Herrn, und der Herr dem Leibe.“ Hier stellt Paulus ein klares Stoppschild auf.

Wo stehen wir nun? Freiheit oder Gesetz? In Vers 18 nennt Paulus die Sünde außerhalb des Leibes und die Sünde gegen den eigenen Leib (womit er die Hurerei meint). Hier geht es um die Verantwortung für andere Men-schen, denen ich schaden könnte, und um die Verantwortung für mich selbst, der ich vor Gott stehe und Ihn „mit meinem Leib preisen“ soll (V. 20).

Die christliche Freiheit hebt die Gebote Gottes nicht auf. So, wie Jesus in der Bergpredigt die Gebote ausgelegt hat, indem er auf unsere Absichten verwiesen hat, statt auf den Buchstaben des Gesetzes, stellt Paulus uns in die Verantwortung vor Gott, Menschen und uns selbst. Die Frage „Was ist erlaubt?“ soll nicht durch Spitzfindigkeiten in der Auslegung, sondern durch das Doppelgebot der Liebe (Markus 12,29-31) beantwortet werden. Das schließt die Frage nach dem Umgang mit dem eigenen Körper, der eigenen Seele, meiner (Liebes-)Beziehung zu Gott mit ein: „Nicht alles dient zum Guten“ – „Nichts soll Macht haben über mich“. Das kann bedeuten, dass ich auf die eine oder andere Freiheit verzichte - um des Nächsten willen, oder weil ich eine Gefahr für mich sehe, wenn ich zum Beispiel um meine Schwächen und die Einfallstore der Versuchung weiß.

Die Frage „Wie weit kann ich gehen?“ wird nicht mit einem kategorischen „Das darfst Du noch – aber das nicht mehr“ beantwortet, sondern mit einem verantwortungsvollen „Das schadet mir / jemand anderem“ und der Überlegung „Ehrt es Gott?“. Nicht zuletzt ist auch das Gespräch mit den Geschwistern, persönlich oder in meiner Kleingruppe, oder mit einem Seelsorger eine Chance, mein Handeln immer wieder in Frage zu stellen und zu korrigieren.

Natürlich hat diese „weiche“ Definition ihre Probleme. Manchen wäre es lie-ber, wenn sie für sich (oder andere) klare und eindeutige Grenzen bekämen. So hat die jüdische Tradition eine Vielzahl von Einzelgesetzen hervorgebracht, die zum Beispiel genau regeln, was am Sabbat erlaubt ist und was nicht, um so einen „Schutzzaun“ um das dritte Gebot zu errichten. Eine Praxis, die mehrfach zum Streitpunkt mit Jesus wurde.

Wir werden immer wieder um die Frage des „Erlaubten“ – oder besser des „Richtigen“ – ringen müssen, und wir werden daran so manches Mal scheitern. Dabei dürfen wir uns aber immer der Gnade und Vergebung Gottes ge-wiss sein, die uns von einer verkrampften Gesetzlichkeit frei macht.

Als Philipp Melanchthon sich in einer Zeit der Verunsicherung an Martin Luther wandte, schrieb dieser in seiner bekannt hemdsärmeligen Art: „Sei ein Sünder und sündige nur tapfer darauf los, aber glaube noch tapferer und freue dich in Christo, welcher der Sieger ist über die Sünde, Tod und die Welt“.

Andreas Verse