An(ge)dacht Juni/Juli 2023

Gott gebe dir vom Tau des Himmels und vom Fett der Erde und Korn und Wein die Fülle.

Genesis 27,28

Was damals als Inbegriff von Glück und Segen galt – genügend Wasser für die eigenen Nutztiere, ausreichend Erträge von den Feldern und den Weinbergen –, das wünschen wir uns auch. Und meinen damit Glück und Zufriedenheit für unser Leben.

Doch was ist das Glück?

Als der hochbetagte Isaak diese Worte seinem Lieblingssohn am Sterbebett mitgibt, ahnt er noch nicht, dass dieser gar nicht sein Lieblingssohn ist, sondern dessen Bruder. Mehr als heute galt ein gesprochenes Wort als festes Versprechen und so bekam Jakob diese wunderbaren Wünsche als Zusage und Verheißung zugesprochen, obwohl sie seinem Bruder Esau galten. Was aus diesem Betrug wurde, kann man in den darauffolgenden Kapiteln im 1. Buch Mose nachlesen: Hass und tiefe Gräben in der Familie, die viele Jahre der beiden Brüder und ihrer Familie bestimmten. So wird der Segen erstmal zu einem Fluch, aus dem erhofften Glück wird Unglück. Am Ende allerdings steht die Versöhnung der beiden Brüder und aus dem Unglück und gefühlten Fluch wird dann doch noch Glück und Segen. Kommt es in Bezug auf Glück und Unglück womöglich auf unsere Sichtweise an?

Dazu las ich kürzlich folgende Geschichte:

Eine Parabel aus China erzählt von einem armen Bauern, der einen kleinen Acker mit einem alten, müden Pferd bestellte und mehr schlecht als recht mit seinem einzigen Sohn davon lebte. Eines Tages lief ihm sein Pferd davon. Alle Nachbarn kamen und bedauerten ihn wegen seines Unglücks. Der Bauer blieb ruhig und antwortete: „Woher wisst ihr, dass es Unglück ist?“ In der nächsten Woche kam das Pferd zurück und brachte zehn Wildpferde mit. Die Nachbarn kamen und gratulierten ihm zu seinem großen Glück. Der Bauer antwortete bedächtig: „Woher wisst ihr, dass es Glück ist?“ Der Sohn fing die Pferde ein, nahm das wildeste und ritt darauf los. Aber das wilde Pferd warf ihn ab, und der Sohn brach sich ein Bein. Alle Nachbarn kamen und jammerten über das Unglück. Der Bauer blieb wieder ruhig und sagte: „Woher wisst ihr, dass es Unglück ist?“ Bald darauf brach ein Krieg aus, und alle jungen Männer mussten zur Armee. Nur der Sohn mit seinem gebrochenen Bein durfte zu Hause bleiben.
(Axel Kühner in: Du kannst nicht tiefer fallen als in Gottes Hand)

Glück kann Unglück bedeuten und Unglück kann Glück bedeuten. Wir wissen es nie ganz genau. Aber wir können unser ganzes Leben mit dem Tau des Himmels, Zeiten der Dürre, den fetten und mageren Jahren, edlem Wein und frischem Wasser, dem anvertrauen, der die Macht hat, uns mit allem zu versorgen, was wir brauchen. Und dann können wir erleben, dass uns der liebende Vater in den Zeiten trägt, die wir als vermeintliches Unglück erleben und auch in den gefühlten Zeiten des Glücks. In diesem Sinne: Gott gebe dir vom Tau des Himmels und vom Fett der Erde und Korn und Wein die Fülle.

Euer/Ihr

Rainer Moh